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Der Schneerest

Der Schneerest

Ein Schneerest dümpelte in der letzten schattigen Ecke vor sich hin. Schmutzig und unansehnlich war er alles, was nach zwei Wochen von einem überheblichen Schneeschipphaufen übrig geblieben war. Da nun schon die ersten Luftballons aus dem Boden sprossen und ältere Herren tralala sangen, beschloss der Schneerest, endlich Frieden zu machen und allen zu vergeben, die schnur und stracks über ihn hinweg gestapft waren und seine schöne Statur ruiniert hatten. Das war nicht leicht. Der alte Groll floss nach wie vor durch seine wässrigen Adern. Aber er bemühte sich und bemühte sich und bald sah man ihn die Straße hinab über seinen gräulichen Schatten springen, bis er irgendwo am Ende liegen blieb. Und gänzlich versiegte.

Weiß

Weiß

Da, wo ich hingehen will, liegt Stille wie ein Tuch über der Landschaft und franst nur am Rand ein wenig aus. Die Worte haben dort keine Buchstaben, aber hundert helle Schattierungen. Wenn da, wo ich hingehen will, ein Krieg tobt, dann ist der Gefechtslärm so laut wie das Reiben eines Zweiges an einer Baumrinde, wenn ein kleiner Wind geht.

Ich kann mir da kein Haus bauen. Das Weiß ist zu groß für mein schmales Ohr.

Der Zwerg Bild

Der Zwerg

Gestern Abend spazierte mirnichts dirnichts ein Zwerg in mein Schlafzimmer. Er sah aus wie der Vater von Jack Nicholson und der Sohn von Tom Waits, nur kleiner. Er hatte Boxershorts an in den Farben der portugiesischen Nationalflagge und ein T-shirt mit einem Schaf aufgedruckt. Sein Lächeln war mysteriös, mit Spuren von Gemeinheit. Naja, das bin ich gewöhnt, wegen Jack Nicholson, ihr wisst schon. In einer Hand trug er meine rostige Gartenschere, in der anderen balancierte er drei Tassen, aus denen er mir zu trinken gab. Die erste war gefüllt mit einer Art süßer Milch, die nach Honig schmeckte, nach Zucker, Marshmellows, Schokolade, Eierlikör, Vanilleeiscreme und Ingwerbrot. Oh. Die zweite war gefüllt mit einer dunklen Flüssigkeit, ein grünlicher Tee, der schmeckte nach Schlangen und Schnecken und pulverisierten Maschinengewehrpatronen und vergifteten japanischen Harakirikirschen, also, was soll ich sagen. Aber in der dritten Tasse war etwas, das ich nicht beschreiben kann. Es schmeckte nach nichts. Es schmeckte so intensiv nach gar nichts, dass der Boden anfing zu beben für ein paar Sekunden, und die Kommode ein quietschendes Geräusch von sich gab. Dann fing der Zwerg an zu singen: “your own personal Jesus, someone who hears your prayers, someone who cares”, und er begleitete sich auf der rostigen Gartenschere. Dann plötzlich verschwand er, und heute morgen sieht alles genauso aus wie gestern. Mehr oder weniger.

je suis

Drei alte Könige, Freunde seit Menschengedenken, verarmten in wenigen Jahrhunderten derart, dass sie nicht mehr von gemeinen Landstreichern zu unterscheiden waren.
Gemeinsam zogen sie in Lumpen durch die Wüste und waren Abend für Abend auf die Barmherzigkeit von Menschen angewiesen, die ihre notdürftigen Behausungen unentgeltlich mit ihnen teilten.
Eines Abends führte der Weg an eine Tür, die aufrecht in der Dämmerung stand, ohne dass dahinter ein Gebäude zu sehen war, in das sie hineinführen könnte. Weil er müde war und nicht mehr weiter wusste, klopfte einer der drei Alten mit knorrigem Knöchel. Es dauerte eine ganze Weile, aber dann öffnete ihnen eine hochgewachsene Person, nicht Mann, nicht Frau, nicht Kind.
Wer seid ihr, und warum kommt ihr daher wie Clochards, fragte sie die drei. Denn ich sehe doch an den silbernen Stickereien an euren verblichenen Kleidern, dass ihr von hohem Hause seid.
Die Alten schwiegen lange. Aber die Luft wurde dünn, und so bleib ihnen nichts anderes übrig, als zu antworten.
Ich habe Bücher verbrannt, sagte der erste, nun bin ich selbst ein verkohltes Blatt, ein Haufen Asche.
Ich habe Häuser zerstört, sagte der zweite, und nun irre ich von Heute nach Gestern, von Gestern nach Vorgestern, und werde bald im Nirgendwann enden.
Ich habe getötet, flüsterte der dritte, nun gleiche ich einer tonlosen Flöte,
und meine Stimme wird von niemandem mehr gehört.

An dieser Stelle bleibt die Geschichte stehen und atmet tief ein. In dem unermesslichen Raum hinter der Tür sagt die Person nur:
Oh.
Ich bin Charlie.

Das alte Haus

Er hatte viele Jahre in einem alten Haus gelebt. Die Ruhe wohnte mit ihm dort, sie war sehr schweigsam, was ihm angenehm war, denn auch er sprach weder viel, noch gerne. Am Morgen schnitt er Brot. Am Abend löffelte er die Suppe aus, die der Tag ihm eingebrockt hatte und beklagte sich nicht. Er war ein ordentlicher, bescheidener Mann, der nicht viele Ansprüche stellte. Er mochte sein Haus. Die Räume, die Möbel, alles war ihm so vertraut, daß er es im Schlaf hätte beschreiben können, wenn jemand ihn im Traum danach gefragt hätte. Er kannte das Geräusch jeder Tür, das Knarren jeder Holzdiele, er wußte, wieviele Stufen die Treppe zum oberen Stockwerk hatte und fand nachts den Weg durch die Flure im Dunkeln. Seine Sachen in den Schubladen und Kommoden, die Kleider in den Schränken waren, wie die Bücher im Regal, übersichtlich sortiert. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte alles für immer so bleiben können. Dann aber, zunächst fast unmerklich, gab es eine Veränderung. Innerhalb weniger Tage wurden die Wände durchsichtig, porös wie altes Leinen. Licht drang herein, und Dunkelheit. Töne, Stimmen, Bilder, die dem Mann fremd waren, krochen erst einzeln, dann in immer größerer Zahl von außen durch das brüchige Fachwerk, schlenderten durch die Zimmer und Kammern, durch Küche und Keller und ließen sich nieder. Die Ruhe fühlte sich gestört und versteckte sich. Dem Mann gefiel das nicht sehr, da er aber von duldsamer Natur war, versuchte er nicht, dieser Invasion Einhalt zu gebieten. Vielleicht war dies ein Fehler?

alteshausNun, eines Tages – die Wände und Mauern des Hauses hatten sich mittlerweile bis auf einen Hauch ausgedünnt und der Wind blies fast ungehindert vorne hinein und hinten wieder hinaus, so dass die Gardinen sich blähten und die Zettel auf dem Schreibtisch wie aufgescheuchte Motten durcheinander flogen, – eines Tages schließlich saß ein Tier auf dem Bettvorleger. Sah den Mann an mit weltweitem Blick.

 

Glück

GlückKein Gepäck. Keine Nahrung. Nur das Texterkennungsprogramm. Ich werde den Leuten das Glück aus der Tasche ziehen. Mit zwei oder drei Päckchen pro Tag will ich auskommen, notfalls. Außerdem werde ich dir begegnen. Du bist reicher als ich. Du bist mit einem Klumpfuß aus Frohsinn auf die Welt gekommen, was den Nachteil hat, dass du nicht so beweglich bist. Hindernisse stellen sich dir schwerer in den Weg als mir. So werden wir uns, wenn wir uns wiedersehen, gegenseitig helfen können. Du fröhlich und langsam, ich hungrig und behände.

Wildes Leben

In dem Buch, das ich gerade lese, küssen sich welche und gehen dann ihrer Wege. Wenn das so einfach wäre. In der Realität versucht man Tanzschritte. Dabei geschehen Annäherungen und Mißverständnisse. Ansagen verfangen sich im Dunkeln, angefangene Gespräche verebben. Manchmal fällt die Liebe auf jemanden und begräbt ihn unter sich. Der muss dann eine Nische finden. Und sich von Melodien ernähren, deren Ablaufdatum schon überschritten ist. Oh du wildes Leben.