Ein Schneerest dümpelte in der letzten schattigen Ecke vor sich hin. Schmutzig und unansehnlich war er alles, was nach zwei Wochen von einem überheblichen Schneeschipphaufen übrig geblieben war. Da nun schon die ersten Luftballons aus dem Boden sprossen und ältere Herren tralala sangen, beschloss der Schneerest, endlich Frieden zu machen und allen zu vergeben, die schnur und stracks über ihn hinweg gestapft waren und seine schöne Statur ruiniert hatten. Das war nicht leicht. Der alte Groll floss nach wie vor durch seine wässrigen Adern. Aber er bemühte sich und bemühte sich und bald sah man ihn die Straße hinab über seinen gräulichen Schatten springen, bis er irgendwo am Ende liegen blieb. Und gänzlich versiegte.
Archiv für den Monat: Februar 2015
Weiß
Da, wo ich hingehen will, liegt Stille wie ein Tuch über der Landschaft und franst nur am Rand ein wenig aus. Die Worte haben dort keine Buchstaben, aber hundert helle Schattierungen. Wenn da, wo ich hingehen will, ein Krieg tobt, dann ist der Gefechtslärm so laut wie das Reiben eines Zweiges an einer Baumrinde, wenn ein kleiner Wind geht.
Ich kann mir da kein Haus bauen. Das Weiß ist zu groß für mein schmales Ohr.
Der Zwerg
Gestern Abend spazierte mirnichts dirnichts ein Zwerg in mein Schlafzimmer. Er sah aus wie der Vater von Jack Nicholson und der Sohn von Tom Waits, nur kleiner. Er hatte Boxershorts an in den Farben der portugiesischen Nationalflagge und ein T-shirt mit einem Schaf aufgedruckt. Sein Lächeln war mysteriös, mit Spuren von Gemeinheit. Naja, das bin ich gewöhnt, wegen Jack Nicholson, ihr wisst schon. In einer Hand trug er meine rostige Gartenschere, in der anderen balancierte er drei Tassen, aus denen er mir zu trinken gab. Die erste war gefüllt mit einer Art süßer Milch, die nach Honig schmeckte, nach Zucker, Marshmellows, Schokolade, Eierlikör, Vanilleeiscreme und Ingwerbrot. Oh. Die zweite war gefüllt mit einer dunklen Flüssigkeit, ein grünlicher Tee, der schmeckte nach Schlangen und Schnecken und pulverisierten Maschinengewehrpatronen und vergifteten japanischen Harakirikirschen, also, was soll ich sagen. Aber in der dritten Tasse war etwas, das ich nicht beschreiben kann. Es schmeckte nach nichts. Es schmeckte so intensiv nach gar nichts, dass der Boden anfing zu beben für ein paar Sekunden, und die Kommode ein quietschendes Geräusch von sich gab. Dann fing der Zwerg an zu singen: “your own personal Jesus, someone who hears your prayers, someone who cares”, und er begleitete sich auf der rostigen Gartenschere. Dann plötzlich verschwand er, und heute morgen sieht alles genauso aus wie gestern. Mehr oder weniger.